Depression: Wenn Jugendliche unsichtbar krank sind

Fünf bis zehn Prozent aller Jugendlichen erkranken innerhalb von zwölf Monaten an einer Depression. Das belegen internationale Studien. REPORTER erklärt, wieso die Krankheit auch in Luxemburg nicht oft genug erkannt wird und wie verheerend die Konsequenzen sein können.

Sich zurückzuziehen und nicht mehr jedes Problem mit den Eltern zu besprechen, ist im jugendlichen Alter nicht ungewöhnlich. Deshalb fällt eine Depression dem Umfeld oft nicht so leicht auf. Foto: iStock.com/bunditinay

„Es steht fest, dass zu wenige betroffene Jugendliche in Therapie sind“, sagt Elisabeth Seimetz. Die Diplom-Psychologin im „Service Information et Prévention“ bei der „Ligue Luxembourgeoise d’Hygiène Mentale“ setzt sich in ihrer Arbeit dafür ein, auch junge Menschen über die Erkrankung Depression aufzuklären, damit Betroffene rechtzeitig professionelle Hilfe in Anspruch nehmen.

„Wenn jemand in so jungen Jahren erkrankt und es nicht behandelt wird, liegt die Wahrscheinlichkeit bei über 70 Prozent, dass er in seinem Leben weitere solcher Episoden erleben wird“, erklärt die Expertin. „Das ist eine alarmierende Zahl. Eine Depression hat enorme Auswirkungen auf das eigene Leben, das Umfeld und die Familie, aber auch auf die spätere Berufstätigkeit.“

Doch weshalb wird eine Depression bei Kindern und Jugendlichen so selten behandelt? Einer der Gründe ist, dass es schwierig ist, sie überhaupt festzustellen. Sich ständig gereizt zu fühlen, den Tag am liebsten im Bett zu verbringen oder über den Sinn des Lebens zu grübeln: Für so manchen Teenager gehört dies zum Alltag. Doch können ständige Niedergeschlagenheit und Unzufriedenheit bei Pubertierenden auch Zeichen einer Depression sein. „Die Grenze zu ziehen, ab wann es sich um eine behandlungsbedürftige psychische Erkrankung handelt, ist sehr schwierig. Deshalb wird die Depression bei Jugendlichen oft noch seltener erkannt als bei Erwachsenen“, sagt Elisabeth Seimetz.

Der Suizid ist nach Verkehrsunfällen die häufigste Todesursache bei jungen Menschen.

Die Formen, in denen sie sich offenbaren kann, sind vielfältig. Dazu gehören Freudlosigkeit und Erschöpfung. Es können aber auch Verhaltensauffälligkeiten im Vordergrund stehen sowie Konzentrationsstörungen, die sich in einem schulischen Leistungsabfall zeigen. Mögliche Zeichen, die auf eine Depression schließen lassen, sind zudem ein vermindertes Selbstvertrauen und psychosomatische Symptome wie Kopfschmerzen und Schlafstörungen. Auch ein nachlassender Kontakt mit Freunden, übertriebene Schuldgefühle und ein übermäßiger Gewichtsverlust können auf eine Erkrankung hinweisen. „Insbesondere bei Selbstmordgedanken sollte das Umfeld hellhörig sein“, meint Elisabeth Seimetz. „Der Suizid ist nach Verkehrsunfällen die häufigste Todesursache bei jungen Menschen.“

Im Zweifelsfall neutralen Experten hinzuziehen

Ein weiteres Problem ist, dass Betroffene sich manchmal selbst nicht darüber bewusst sind, dass eine psychische Erkrankung hinter ihren Symptomen steckt. „Manche schämen sich auch dafür und holen sich deshalb keine Hilfe“, meint Elisabeth Seimetz. Gerade dann ist das soziale Umfeld gefordert.

Doch wie können Eltern erkennen, dass der eigene Nachwuchs nicht lediglich in einer depressiv gefärbten Phase steckt, die einfach wieder vorbeigeht? Dr. Thomas Karst, ärztlicher Leiter der Jugendpsychiatrie am „Centre Hospitalier Neuro-Psychiatrique“ in Ettelbrück, sagt: „Ich fände es bedrohlich, wenn mein Kind sich zu sehr zurückziehen würde.“ Wenn kaum noch Kontakt möglich sei oder das Verhalten für die Eltern nicht mehr plausibel erscheine, sollten sie mit ihrem Kind einen Jugendpsychiater oder eine Beratungsstelle aufsuchen.

Wie viele Teenager in Luxemburg an einer Depression leiden, ist nur schwer einzuschätzen. Laut Elisabeth Seimetz weisen internationale Untersuchungen darauf hin, dass fünf bis zehn Prozent aller Jugendlichen innerhalb von zwölf Monaten an einer Depression erkranken. Zahlen, die auf Luxemburg übertragbar seien. Dass heute mehr Jugendliche erkrankten, kann sie nicht bestätigen. Dieser Eindruck könne dadurch entstehen, dass die Bevölkerung in Luxemburg und damit die absolute Zahl der Betroffenen steigt. Zudem gebe es heute eine erhöhte Sensibilität für psychische Erkrankungen.

Depressionen sind auch bei Babys möglich

Selbst Kinder können an einer Depression leiden. „Bereits bei Babys kann sie auftreten, ausgelöst durch Vernachlässigung oder Liebesentzug der Eltern. Zum Glück sehen wir das sehr selten“, sagt Dr. Claudio Pignoloni, Kinder- und Jugendpsychiater am CHL.

Ebenso wie bei Jugendlichen fällt auch bei Kindern die Diagnose schwer, weil sie ihre Gefühlswelt noch nicht so gut in Worten ausdrücken können. Typische Symptome der Depression, etwa eine große Traurigkeit, Hilflosigkeit und ein vermindertes Selbstwertgefühl, kämen zwar auch vor, seien aber seltener als bei Erwachsenen, erklärt der Mediziner. Anzeichen könnten etwa ein auffälliges Verhalten des Kindes sein, Lernschwierigkeiten und sinkende Freude an früher beliebten Freizeitaktivitäten.

Die Beziehung zwischen Patient und Therapeut ist für mich das beste Medikament.

Die Ursachen für eine Depression sind vielfältig. Eine genetische Veranlagung kann die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung erhöhen. „Es ist auch eine Frage des Geschlechts. In der Jugend sind Mädchen doppelt so häufig betroffen wie Jungen, was zum Teil auch auf die Hormone zurückzuführen ist“, sagt Elisabeth Seimetz. Probleme im sozialen und familiären Umfeld, Mobbing in der Schule, Misshandlung und einschneidende Erlebnisse wie der Verlust eines geliebten Elternteils können das Auftreten einer Depression begünstigen. Hinzu kommen individuelle psychische Faktoren, wie die eigene Fähigkeit, mit Stress umzugehen und Konflikte zu lösen.

Wird eine Depression erkannt, ist sie je nach Schwere mithilfe einer Psychotherapie gut behandelbar. „Die Beziehung zwischen Patient und Therapeut ist für mich das beste Medikament“, meint Dr. Pignoloni. Dabei müsse die Familie des Kindes oder des Jugendlichen mitbetrachtet werden. Gerade bei kleinen Kindern sei es notwendig, Eltern, die sich in Schwierigkeiten befinden, in ihrer Rolle zu unterstützen. In schweren Fällen ist es möglich, Antidepressiva zu verabreichen. Wer den Symptomen auf den Grund geht, sie abklären und behandeln lässt, erhöht damit also deutlich seine Chancen, Wege aus der Depression zu finden.

Kerstin Smirr

 

Dieser Beitrag ist im Dezember 2018 im luxemburgischen Online-Magazin REPORTER erschienen.